„Das Alte Land ist ein Teil der Elbmarsch südlich der Elbe in Hamburg und in Niedersachsen. Es umfasst die Gemeinde Jork, die Samtgemeinde Lühe und den Neu Wulmstorfer Ortsteil Rübke in Niedersachsen sowie die Hamburger Stadtteile Neuenfelde, Cranz und Francop.“ (Wikipedia)
Hier lässt Dörte Hansen in ihrem Roman Vera und ihre Nichte Anna mit deren Sohn Leon leben und erleben.
Sympatisch ist sie mir, diese Vera. Könnt´ ich mich doch mit ihr identifizieren – angefangen vom Enkelkind, „seine weiche Haut an ihrer Wange und sein Haar“ über die Anders-Ordnung bis hin zu ihrem Mitgefühl, Mitleiden, Mitleben mit Karl – nicht ihr Vater aber doch an seiner Statt, das Beste was ihr das Kindheits-Leben emotional offerieren konnte, ja, und sogar das Verhältnis zu ihrer Schwester, das kein gutes war aber doch ein enges.
Veras Haus ist letzlich nur Zuflucht – „Sie war ein Flüchtling, einmal fast erfroren, nie wieder warm geworden. Ein Haus gefunden, irgendeins, und dort geblieben, um nur nicht wieder in den Schnee zu müssen.“ – und sie lässt es verkommen, zerfallen, scheint keinen Sinn darin zu finden, die Materie über den Minimalzweck hinaus zu bewahren. „Unverwundbar musste man gewesen sein in diesem Haus, hoch den Kopf, und dann stand man im Schnee und rannte um sein Leben.“ Und doch….Anna und Leon bietet sie ein Zuhause unter der Bedingung, dass die Nichte sich um die notwendigen Reparaturen, sprich, den langfristigen Erhalt des Hauses kümmert.
Hat sie jetzt den dazu notwendigen Lebenssinn gefunden?
Anna ist angekommen, irgendwann, auch wenn es hier ein wenig anders läuft im Kindergarten als in Leons früherer Hamburger Kita. Vorurteile gegen die Großstädterin prallen an ihr ab – sie merkt sie nicht einmal und Leon findet sich so schnell im neuen Leben ein, wie er sich mit Theis zum Felde, dem „Schädlingsbekämpfer“ anfreundet.
Die Konflikte auf dem Land ähneln in nichts den städtischen und so bedeutet die neue Umgebung für Anna und ihren Sohn Rettung, Befreiung und Geborgenheit auf der Flucht vor „ergeizigen Vollwert-Eltern“ und der Entdeckung, dass „ihr Mann eine Andere liebt.“
Und endlich die Erkenntnis, dass Marlene bei ihr ebenso auf der Suche nach der fehlenden Liebe der Mutter ist wie umgekehrt lässt die Schwestern näher zusammenrücken
Für Vera bringen die neuen Mitbewohner Emotionen und den Mut, sie endlich auszuhalten und als Leon ihr tröstend die Hand an die Wange legt „Du armes kleines Kind“, als sie mal wieder selbstvergessen und selbstgesprächig von ihren Fluchterlebnissen berichtet, da lässt sie ein kurzes Erfühlen zu, auch wenn sie sich noch lange dafür schämt.
Die Heilung kann beginnen, kein Stoff zu finden, auch nicht in den Taschen des anderen Süchtigen und irgend wann einmal traut auch Vera sich zum Nachtschlaf in ihr Bett, das sie sonst nie vorm Morgengrauen aufsucht.
Das NDR Buch des Monats März 2015 bezeichnet diesen Roman als „wohltuend anders. Keine Romantik. Klischeefrei. Starke, knorrige Charaktere. Eine Geschichte, die lange nachklingt, wie das Ächzen und Knarren in dem großen dunklen Bauernhaus.“ und Markus Reiter setzt in der Stuttgarter Zeitung noch einen drauf mit seinem Kommentar:„Das muss man erst einmal schaffen: einen erfolgreichen Roman zu schreiben, der so leichthin Gentrifizierungsflüchtlinge ebenso aufs Korn nimmt wie veränderungsresistente Bauern; Hipsters wie Landvolk ironisch charakterisiert, ohne sie verächtlich zu machen.“
Dem kann ich mich nur anschließen: Hut ab!!
2015 Albrecht Knaus Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH in München
ISBN 978-3-328-10012-6