Sven, der Deutschland verlassen hat – das „Kriegsgebiet“, „Land der Beurteiler“ – wie er es nennt, trifft auf der Insel in seiner Rolle als Tauchlehrer mit Theo und Jola zusammen und plötzlich ist nichts mehr, wie es war.
Alle Prinzipien , Vorstellungen, sein ganzes Sein dreht sich um einhundert Grad, um zweihundert, um dreihundertsechzig? und was ist oben, was unten? Noch geht er davon aus, sich aus Allem raushalten, nach seinem Schlenker die Spur wieder halten zu können.
Theo und Jola haben ein Stück „Kriegsgebiet“ mit auf die Insel gebracht und „statt größtmöglichen Abstand zu wahren, hätte er sich um ein Haar mitten hineingestürzt“.
Das Paar zieht ihn in die Tiefe, ins Kriegsgebiet, macht ihn selbst zum Beurteiler, nimmt ihm seinen Aussteigerstolz und macht ihn zum „überforderten Prototypus des überforderten 21. Jahrhunderts.“
In Erinnerung an ihren Vater bezeichnet Jola ihre Kindheit als gutes Training in Vorbereitung auf „den alten Mann, wie sie ihren Partner nennt. Sie weiß, wie sie seine Mißhandlungen in einzelne kleinere, aushalbare Dosen zerlegen kann. Sie weiß um die Kunst, zu überleben!
Ist hier vielleicht von einer SM Beziehung die Rede? Von der Vorstellung, dass Liebe ohne Unterordnung nicht möglich sei und „Gleichberechtigung oder gar Freiheit in zwischenmenschlicher Beziehung“ eine Illusion darstelle?
Sven, Puplikum und Komparse gleichermaßen, fühlt „Liebe, Schmerz und Traurigkeit und ist sich nicht sicher, ob das nicht alles dasselbe ist“. Er wird Opfer des „Kriegsgeschehens“, der Lust am Verbreiten von Gerüchten, der Bereitschaft, immer das Schlechteste vom Anderen zu denken.
Aber wer oder was ist der Andere? Wen bestimmt die „Urteilskunst“ dazu und lässt sie einem tatsächlich, „genau wie im Gerichtsprozess die Möglichkeit zur Revision“?
Nullzeit bezeichnet beim Tauchen die Zeit, die man unter Wasser bleiben kann und innerhalb derer der Taucher ohne Dekompressionspausen aufsteigen kann.
Die Autorin Juli Zeh nennt ihren Roman „Nullzeit“. Man hätte ihn geradeso „Kriegsgebiet“ oder „Kriegsgeschehen“ betiteln können. Auch hier gibt es keine Dekompensationszeit – die Geschehnisse folgen einander ohne Warnung und ohne Vorhersage. Immer gewappnet sein ist das Motto und beruhigend an diesem Thriller ist nur die Natur, „die demonstrative Gleichgültigkeit der Elemente“.
Und so fühlt sich Sven – das Opfer? – „deutsch, Überfordert (die Großschrift folgt dem Buch), desorientiert, angewidert von der Welt
„Mach doch, was du willst, sagen Himmel, Felsen und Ozean. Ist uns doch egal. Stört uns nicht. Von euren Katastrophen bleibt nichts zurück, während bei den unsrigen immerhin ab und zu eine Insel abfällt“.
Schöffling & Co 2012
ISBN 978-3-89561-436-1