Effie Briest

Langatmig ist er schon an einigen Stellen, der Roman von Theodor Fontane.
Aus einer Seite hätte man unter Umständen eine halbe machen können, aus zehn Sätzen eventuell drei, die ebenso gut vermittelt hätten,
was der Dichter uns mit seinem Werk zu sagen hat.

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht muss es genau so geschrieben sein
um uns die Bedeutung des Geschehens um Effie und mit ihr offenbar zu machen.

Der mit seiner Zeit verbundenen Moral wohl voraus,
lässt er uns mitleiden mit der verstoßenen Tochter.
Er lässt uns den Schmerz und die Verzweiflung fühlen der Mutter,
deren Kind zur Antiliebe und mechanischen Puppe dressiert ist
und wir fühlen das Unnütze eines Todes, der auf zweifelhaften und vom Vollziehenden selbst nicht hundert Prozent als sinnvoll angesehenen Konventionen beruht.

Effi ist jung, als sie ihr Elternhaus verlässt und ohne Entscheidungsfähigkeit in die ehelichen Hände
eines, der Generation ihrer Eltern angehörenden Mannes gegeben wird.
Bar jeder Lebenserfahrung schreibt sie alles, was sie in Angst, Langeweile, Einsamkeit und Unverständnis versetzt ihrer eigenen Unzulänglichkeit zu.
Ihr Bemühen um Anpassung und Gehorsam einer Generation gegenüber, die nicht die ihre ist, legt die ihrer Jugend entsprechenden Leichtigkeit ab und betont vor sich und der Welt die Großartigkeit des Gatten und damit ihr eigenes großes Glück, seine Ehefrau zu sein.

Als sie Crampas begegnet, ziehen Spiel und Spannung und jene krampfhaft abgelegte Leichtigkeit wieder in ihr Leben ein und lassen es ein wenig mehr zu ihrem eigenen werden.
Zärtlichkeiten und neu entdeckte Erregung durchbrechen die
Monotonie und Uneigenständigkeit ihres Alltags.

„Und es war noch nicht einmal Liebe“ sind Effies Worte, als sie vom Tode Crampas´erfährt.
Aber es war das Leben.

Fontane zeigt uns, was eine Gesellschaft vermag, in der Leben nur die Moral der Zeit,
Anpassung und Gehorsam verkörpern soll.
Er zeigt uns, wie das Anderssein bestraft wird bis hin zum Tode und der Vollzieher letztendlich keine Genugtuung empfindet, jedoch seine Ehre, Ehrbarkeit und Position
in der Gesellschaft durch die Tat erhalten kann.

„Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?“ so die Worte der Mutter am Ende des Romans
und die Antwort ihres Gatten: „Ach, Luise, lass … das ist ein zu weites Feld.“
Aber, diese wenigen Worte lassen uns hoffen.

1925 S. Fischer / Verlag Berlin